`Zeugnis von Josua

Saulus wird Paulus: Warum Joshua Buck seinen alten Vornamen ablegte

Von Annette Lübbers

Lässig lehnt Joshua Buck aus Geislingen an der Steige vor seinem Auto. Der Mann und sein Auto lassen keinen Zweifel daran, wo der 30-Jährige im Leben steht. „Jesus ist die Antwort", prangt auf der Kühlerhaube, und auf sei­nem strahlend orangefarbenen T-Shirt steht: „Gott hat dir dein Lächeln gegeben, lächeln musst du selbst. Vervollständigt wird das Gesamtstatement durch eine Auflistung auf seinem Rücken: „In: Treue, Liebe, Geduld ...! Out: Geiz, Hass, Neid." Dazu passt das strahlende Lächeln von Joshua Buck. Zu Irritationen führt höchstens eine Tätowierung auf sei­nem Hinterkopf. Durch den spärlichen Haarwuchs schimmert die Aufschrift „Rotterdam Terror Corps" durch. Darunter prangt ein Totenschädel. „Das Teil muss weg - allerdings kosten zehn Sitzungen unter einem Laser eine Menge Geld. Das kann ich mir noch nicht leisten", erklärt der sympathische junge Mann mit seiner kratzigen Stimme. Nachwirkungen einer toxischen Lungenentzündung.


Alkohol, Drogen und Waffen

Es gab Jahre in Joshua Bucks Leben, in denen er keineswegs sympathisch daherkam. Ein altes Ausweisfoto zeigt einen jungen Mann mit fast kahl rasier­tem Schädel, Kinnbart und Schnauzer. Auffallend sind die Augen: Kalt und fast leblos starren sie den Fotografen an. Als das Foto entstand, spielte Gott im Leben des Mannes, der damals noch Sascha Schulze hieß, keine Rolle. Dafür Mädchen, harte Technomusik, Alkohol, Drogen und Waffen.

Sascha Schulze kommt 1977 in Koblenz zur Welt. Als er drei Jahre ist, wirft die Mutter den Vater aus der Wohnung. „Er war ein jähzorniger Mann, der uns beide geprügelt hat", erinnert sich der 30-Jährige. Als Sascha fünf Jahre alt ist, heiratet die Mutter wieder. Der Stiefvater, eigentlich Maler und Lackierer, arbei­tet als Tanzmusiker. Die Mutter macht begeistert mit. Für ihren kleinen Sohn hat sie kaum Zeit. Sascha leidet unter ADHS, der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung. Doch niemand diagnostiziert die Krankheit. Auf den neuen Vater reagiert der rebellische Junge mit Eifersuchtsattacken. Körperliche Nähe lernt Sascha kaum kennen; in der Schule gilt er als verhaltensauffällig und wird schnell in eine Sonderschule abgeschoben. „Meine Lehrer waren völ­lig überfordert", sagt er heute und zeigt seine alten Zeugnisse. Mit zwölf Jahren kommt er in ein katholisches Heim. „Wie überall sonst fand ich auch dort keine richtigen Freunde. Ich spielte den Spaßvogel; das machte mich oberfläch­lich gesehen beliebt. Aber echte Freunde? Fehlanzeige", erinnert sich Sascha. Mit seinen Problemen bleibt der Junge wie immer allein.

Als er 14 Jahre ist, stirbt der Stiefvater an Lungenkrebs. „Darunter habe ich sehr gelitten. Ich habe ihn vermisst, obwohl ich immer so getan hatte, als würde ich ihn ablehnen."

Niemand passte auf

Zwei Jahre später brennt er sich ein Pentagramm aufs Handgelenk. Er hört Lieder wie „Des Satans neue Kleider", zer­stört sinnlos Gräber auf Friedhöfen, pro­biert Gläserrücken und andere okkulte Praktiken aus. „Auf meinem Tisch im Heim stand ein Kelch, dessen Inhalt aus­sah wie Blut. Natürlich war es keins, aber ich wollte damit schocken, provozieren. Und die katholischen Erzieher haben da nichts, aber auch gar nichts gegen gemacht. Die ließen einfach alles lau­fen", erklärt er und schüttelt über so viel falsch verstandene Toleranz den Kopf. Wenige Zeit später zieht der junge Mann in eine betreute Wohngemein­schaft und beginnt eine Lehre alsEinzelhandelskaufmann.

In einer Disco wirft er zum ersten Mal eine Ecstasy-Pille ein. „Die Endorphine im Gehirn schei­nen zu explodieren. Man geht fast kaputt an den Glücksgefühlen", erzählt er. „Aber wenn die Wirkung nachlässt, fällst du in ein tiefes Loch. Dagegen gibt es nur ein Mittel: die nächste Pille." Sascha merkt nicht, dass er sich auf einer Straße befindet, auf der es nur noch bergab geht. Die Betreuer in der Wohngemeinschaft merken zunächst nichts von den Veränderungen, die mit dem jungen Burschen vor sich gehen. Nach einem Jahr im Drogenrausch und unzähligen Fehlstunden in der Berufsschule ver­liert er seinen Ausbildungsplatz. Er fährt ohne Führerschein ein Auto mit geklau­ten Nummernschildern. Zum ersten Mal nimmt die Polizei ihn fest. „Aber der Richter hatte Mitleid. Für Fahren ohne Führerschein, Schilderklau und Urkundenfälschung bekam ich nur eine Verwarnung."

Der junge Mann ist noch keine 18 Jahre alt, als er mit dem Verkauf von Drogen beginnt. „Am Wochenende konsumierte ich damals acht bis neun Ecstasy-Pillen und hatte zwei bis drei LSD-Trips. Dafür gingen schnell 250 Mark drauf, und die Pillen wollten finanziert sein." Das Leben auf der Überholspur kostet seinen ganz eigenen Preis. Sascha lebt nur noch von Pillen, Cola und Zigaretten. Bei 1,75 Meter Körpergröße wiegt er nur noch 54 Kilogramm. Er kommt mit Pfeifferschem Drüsenfieber ins Krankenhaus, eine Herzbeutelentzündung wird diagnos­tiziert.

Leer und ausgebrannt

Sechs Monate lang nimmt der Koblen­zer keine Drogen, er findet eine Freundin, fängt eine neue Ausbildung zum Maler und Lackierer an. Dann gibt es Streit mit seiner Freundin - und Sascha flüch­tet zurück zu den alten Kumpels. „Wir haben dann angefangen, uns Stoff aus Holland zu besorgen." Das Geschäft mit dem Dealen läuft auf Hochtouren. „Bei unseren Versuchen, uns auf dem Markt mit Dumpingpreisen zu positionie­ren, müssen wir allerdings einer ande­ren Bande in die Quere gekommen sein. Plötzlich hatte ich in einem Wald von Koblenz eine Pistole am Kopf." Von da an trägt Sascha in seinem Job" selbst eine Waffe. „Das sollte nie wieder jemand mit mir machen."

Als er am 7. Mai 1999 verhaftet wird, fühlt sich der noch nicht 20-jährige, bewaffnete Drogendealer „leer und ausgebrannt". „Dabei hatten sie bei mir nur zwei Gramm Haschisch gefunden. Ich schien nur ein kleiner Fisch zu sein. Bis mich vor Gericht ein Polizist nach ei­nem Fahndungsfoto wiedererkannte als .Pascal Dark'. Das war mein Pseudonym in der Szene. Die Polizei hatte meine Fingerabdrücke - da half kein Leugnen mehr."

Wieder hat Sascha Glück. „Sie hät­ten mir achteinhalb Jahre aufbrum­men können. Zehn Jahre beantragte der Staatsanwalt. Dennoch wurde ich nach Jugendstrafrecht verurteilt." 18 Monate verbringt er in der JVA Düsseldorf, vier Monate in Hagen, danach folgt der Offene Vollzug in Bochum-Langendreer. Dort begegnen ihm zwei Menschen, die den kriminellen Dealer zurück in die Gesellschaft - und zu Gott - führen.

Gott, hol mich hier raus!

Weich werden die Züge des heute so lebendig und kraftvoll wirkenden Mannes, wenn er sich an die Zeit erin­nert, in der sich sein Leben „hoffent­lich für immer" veränderte. „Ohne Bernd und Monika Lehmann weiß ich nicht, wie mein Leben heute aussehen würde." Das Ehepaar leitet ehrenamt­lich die Gruppe „Gefangenenhilfe" im Gefängnis Langendreer. „Ich dachte erst, die beiden haben einen Dachschaden. Und bestimmt machen die das nur, weil sie damit Knete verdienen. Ich war sehr erstaunt, als ich erfuhr, dass diese bei­den ihre Gefangenenarbeit völlig unent­geltlich machen. Meine .eigene Mutter hat so viel Aufwand mit mir nicht be­trieben", sagt Joshua leise. „Dabei habe ich es den beiden wirklich nicht leicht gemacht. Ich war voll dabei, den starken Mann zu spielen." Joshua zeigt unscharfe Bilder, die ihn im Knast zeigen. In die Kamera stiert ein muskelbepackter junger Mann mit finsterem Blick. Seine Knastkollegen will er von seiner Härte überzeugen, als er sich selbst nicht mehr überzeugen kann. „Ich betete: Gott, hol mich hier raus. Ich geh auch immer in den Gottesdienst. - Ich habe das nicht ernst gemeint, Gott aber schon", sagt er und strahlt plötzlich. „In der katholischen Kirche fühlte ich mich immer wie auf einer Beerdigung. Die Gottesdienste, zu denen mich Bernd und Monika Lehmann mitnahmen, waren anders. Mein erster Eindruck: Sind die hier auf Ecstasy? Die wussten alle, dass ich aus dem Knast Freigang hatte - und dennoch waren alle freundlich zu mir. Die Musik mit Schlagzeug und Gitarre war so anders, die Lieder - und die Predigten. Ich lernte: An meinem Elend ist nicht Gott schuld, sondern ich ganz alleine." Sascha Schulze lässt sich 2001 taufen und legt den Namen Sascha ab. Fortan will er Joshua heißen, wie der biblische Hebräer, der das Volk Israel ins Gelobte Land führte. „Ich habe mein Leben Jesus gegeben, nicht auf einmal, sondern Stück für Stück. Es war schwer, aber ich wollte es. Die Gemeinde hat für mich gebetet, das hatte vorher niemand für mich getan."

Das Leben im Griff

Seit 2002 befindet sich Joshua, der seit seiner Hochzeit im Juli 2007 Buck heißt, wieder in Freiheit. Er wohnt in Geislingen an der Steige und arbeitet in einer evan­gelisch-freikirchlichen Gemeinde im Jugendbereich. Er führt Gebetskreise und seelsorgerliche Gespräche, besucht Menschen zu Hause und „missioniert leidenschaftlich gerne in der Stadt". Er ist christlicher Pfadfinder und erzählt seine Geschichte im Religionsunterricht. Nebenbei absolviert er ein sechsjähriges Teilzeitstudium an einer Bibelschule. „Eigentlich will ich nichts weiter mehr, als Menschen zu Gott führen, ein wenig reisen und später einmal in den Himmel kommen. Und ich wünsche mir, dass meine Mutter und mein neuer Stiefvater zu Gott finden." Sein altes Leben liegt weit hinter dem 3o-jährigen. „Heute erfüllt der Glaube mem ganzes Leben -auch wenn ich noch einige Krisen durch­leben musste. Ohne Gott wäre mein Leben ohne jeden Inhalt. Mit ihm erlebe ich das Wunder des Lebens jeden Tag neu. Ich liebe es sehr, am frühen Morgen laut in der Natur zu beten. Dabei erlebe ich, dass das Gebet mir Kraft gibt, und dass Gott meine Sorgen auf sich nimmt." Joshua Bück hat - zum ersten Mal - sein Leben wirklich im Griff.

 

Bericht aus der Zeitschrift "Neues Leben" (September 2007) von Anette Lübbers.

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